Definition
- Jede Verletzung mit frischen Frakturzeichen und offener Wunde in ihrer Nähe ist als offene Fraktur zu behandeln
- Frakturen, deren Behandlung durch einen offenen oder geschlossenen Weichteilschaden kompliziert werden
(Weichteilschaden erhöht Infektionsrisiko und Knochenheilungsstörung -> Delayed union/Nonunion und Pseudarthrose)
Präoperative Abklärung
- Röntgen der betroffenen Extremität in 2 Ebenen
- Der Weichteilschaden lässt auf den Traumamechanismus schliessen.
- Einschätzung des Ausmasses des Weichteilschadens und der Kontamination resp. Verschmutzung bei offenem oder geschlossenem Weichteilschaden
Klassifikation offener Frakturen mit Einschätzung des Weichteilschadens nach Gustilo / Anderson (link)
Klassifikation offener und geschlossener Frakturen mit Einschätzung des Weichteilschadens nach Tscherne (link)
Indikation zur operativen Behandlung
- immer
Indikation zur konservativen Behandlung
- medizinische Inoperabilität des Patienten
Präoperative Massnahmen auf dem Notfall/Schockraum
- Reposition und Schienenlagerung bei Luxationsfrakturen
- Fotodokumentation (Speicherung PACS)
- Precleaning im Notfall: Grobe Säuberung und Desinfektion (Fremdkörper)
- Abdecken mit steriler Betadine Kompressen und sterilem Wundverband
- Danach wird die Fraktur nicht mehr ausgepackt bis in den Operationssaal!
- Suffiziente Ruhigstellung in einer Schiene bis zur Operation
- Keine Tourniquets wenn keine arteriellen Verletzungen
- Antibiotische Therapie sofort beginnen gemäss infektiologischen Richtlinien (Link)
- Bei stark verschmutzten Wunden: Zusätzlich ein Aminoglykosid (z.B. Gentamycin 80 mg/12h)
- Bei Verschmutzung mit Fäkalkeimen/Landwirtschaft/Anaerobier: Zusätzlich Metronidazol
- Tetanusstatus prüfen
- Cave: offene Frakturen = Weichteiltrauma: Kompartmentsyndrom aktiv ausschliessen
- „Life before limb“, MESS Score berechnen (Link)
Präoperative Massnahmen in der Einleitung
- Nach Einleitung: Entfernen des Verbandes durch Operateur unter sterilen Bedingungen
(Mundschutz, sterile Handschuhe, steriles Abdecktuch untergelegt)
- Operationsvorbereitung wie üblich (Rasur)
- Anschliessend Abdecken mit sterilem Tuch
Massnahmen im Operationssaal
- Im Beisein des steril angezogenen Operateurs Desinfektion des OP-Feldes in üblicher Weise und Folienabdeckung
- Lokales Debridément und Erweitern der Wunde (Dokumentation der debridierten Strukturen im Op Bericht (DRG)
- Herausstehende Knochen werden mit einer sterilen „Zahnbürste“ gereinigt
- Radikales Debridément von nekrotischem, kontaminiertem Gewebe, bei Unsicherheit Hintergrund rufen
- Die gebrauchten Instrumente werden anschliessend verworfen
- Ausgiebige Lavage (10 l Ringerlactat)
- Cave: Nur Spülung mit Niederdruck Jet (erster Druckpunkt bei der Lavage); Keine Hochdruck Jet Lavage (Pistolengriff voll durchgedrückt) und keine antibiotischen Spüllösungen (Niederdrucklavage hat gleiche Resultate, weniger Verschleppung von Keimen in tiefere Gewebeschichten und erlaubt grosse Spülmengen zu applizieren)
- Anschliessend Entfernung der Plastikfolie, Handschuhwechsel und Austausch der Instrumente
- Bei initial stark verschmutzter Wunde wird am Ende des Eingriffs erneut mit 5l Ringerlactat gespült
“dilution is the solution to pollution”
- Frakturhämatom Evakuation und Drainage von Wundsekret
- Primärer Verschluss von offenen Gelenken nach ausgiebigem Spülen; falls nicht möglich feucht/sterile Abdeckung
- Probeentnahme für Bakteriologie vor Wundverschluss (3 Proben)
- Antibiotikatherapie wie präoperativ festgelegt
- Cave: Ausreichendes Debridément ist entscheidend
- Entfernung aller Knochenstücke ohne Kontakt zu den Weichteilen
- Hypothermie vermeiden: Beeinflusst Weichteilheilung und Infektionsrate
Intraoperative Rekonstruktion (Fotodokumentation vor Verband!) II-III offene Verletzungen Plastischem Chirurgen zeigen
- OI°/OII° – keine Kontamination → Primärer Verschluss
- OI°/OII° – fragliche Kontamination → VAC/Konditionierung → Sekundärer Wundverschluss
- OII°/OIIIA° – Hautdefekt, muskuläre Deckung → VAC/Konditionierung → Spalthaut
- OIIIA/OIIIB/OIIIC° mit freiliegendem Knochen → VAC/Konditionierung → Lokaler, gestielter oder freier Lappen innerhalb von 48-72 h
- Keine definitive Frakturversorgung bei offenen Frakturen Grad (II)-III oder starker Verschmutzung (Landwirtschaftlicher oder Forstunfall)
– > Externe Fixation durch Fixateur externe mit ausreichend Abstand zum Frakturgebiet
Postoperative Behandlung
- Kompartmentüberwachung bei Bedarf
- 2nd Look planen (48 h): If in doubt look again
- Frühe plastische Deckung oder Gelenkverschluss planen (48-72h)
- Postoperatives Planungs-CT für postprimäre Versorgung erwägen
- Malnutrition (z.B. Eiweißmangel) und Vitaminmangel ausgleichen um Wundheilung zu optimieren und Infektionen zu vermeiden (Labor Albumin, Leukozyten)
Zusammenfassung
Offene Frakturen brauchen
- Schnelle Diagnostik
- Adäquate Schienung
- Adäquate antibiotische Therapie
- Großzügiges Debridément
- Frakturstabilisierung (ggf. postprimäre definitive ORIF)
- Second Look
- Frühzeitige Weichteildeckung
Quellen:
J Trauma. 1984 Aug;24(8):742-6.Problems in the management of type III (severe) open fractures: a new classification of type III open fractures.
Gustilo RB, Mendoza RM, Williams DN.
J Bone Joint Surg Am. 1990 Feb;72(2):299-304.The management of open fractures., Gustilo RB1, Merkow RL, Templeman D.
Bhandari, M.et al. (1999) High and Low Pressure Pulsatile Lavage of Contaminated Tibial Fractures: An In Vitro Study of Bacterial Adherence and Bone Damage. Journal of Orthopaedic Trauma: 13: 526-533.
Hassinger, S.M. et al. (2005) High-Pressure Pulsatile Lavage Propagates Bacteria into Soft Tissue Clinical Orthopaedics & Related Research 439; 27-31.
D.J. Crowley et al. (1989) Irrigation of the wounds in open fractures Journal of Bone and Joint Surgery – 89-B, 580-585.
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