Kniegelenksnahe Osteotomien (HTO/ SCOT)
Präoperative Abklärung
- Rx Kniestatus (ap stehend, seitlich, Rosenberg, Patella axial) mit Kalibrierungskugel
- Rx Ganzbeinaufnahme bds mit Kalibrierungskugel
- MRI Knie nativ
- Labor, EKG, weiterführende Diagnositk gemäss Anästhesierichtlinien
Präoperative Massnahmen
- Eintrittsuntersuchung: klinischer Status mit aktuellem Lokalbefund (inkl Gefäss-/Nervenstatus)
- Überprüfung der visierten schriftlichen OP-Aufklärung
- Seitenmarkierung mit nicht wasserlöslichem Filzstift
- SURPASS
Klassifikation / Einteilung
HTO (hohe Tibiaosteotomie)
valgisierend
- medial opening wedge (bei uns bevorzugt)
- lateral closed wedge (selten (höhere Morbidität: Fibula-OT, N. peronäus, Muskelablösung))
varisierend
- medial closed wedge (selten (z.B Revarisierung nach Überkorrektur HTO med open wedge))
- lateral opening wedge (selten (N. peronäus!))
SCOT (supracondyläre Osteotomie) Femur
valgisierend
- lateral closed wedge (bei uns bevorzugt)
- medial opening wedge
varisierend
- medial closed wedge (bei uns bevorzugt)
- lateral opening wedge (selten (überhaupt? -> Keine Literatur!))
Indikation
- unikompartimentelle Gonarthrose bei Beinachsenabweichung auf die betroffene Seite (1)
- Insuffizienz des kontralateralen Kollateralbandapperates mit ‚Thrust’ durch Überdehnung bei Beinachsenabweichung (z.B. Varus-Thrust bei Varusbeinachse und Elongation des lateralen Kollateralbandes) (2,6)
- Verminderung der femoropatellären Scherkräfte aufgrund einer Varus-/Valgusachsenabweichung (2)
- bei operativer Sanierung einer symptomatischen Meniskusläsion bei gleichzeitiger relevanter Beinachsenabweichung (5) auf die betroffene Seite (MAD* 11-16mm (relative Indikation) >16mm (absolute Indikation) bei Varusdeformität und MAD > 10mm bei Valgusdeformität) zu diskutieren; hier auch zweizeitiges Vorgehen (primär Meniskussanierung, sekundär bei auftreten einer Symptomatik im betroffenen Kompartiment Osteotomie) möglich
- geplante VKB-Ersatzplastik bei erheblicher Varusbeinachse (Risikofaktor für Transplantatversagen!), ggf. gleichzeitige Slopekorrektur
* MAD: mechanische Achsendeviation (5)
Kontraindikation
- relevante Binnenschäden in den übrigen Kniekompartimenten: (sub-)totaler Meniskusverlust, Knorpelläsionen > Grad 3 nach Outerbridge (1)
- Nikotinabusus (3,6), relative Kontraindikation (falls trotzdem Osteotomie, dann closed wedge)
- Patientenalter > 65 Jahre (3), bei uns Alter und Indikation individuell diskutiert
- Rheumatoide Arthritis (1,4)
- erheblich eingeschränkte Beweglichkeit (Flexion mindestens 90°, Streckdefizit bis 20°)
- Beinachsenabweichung > 20 Grad varus (4), relative Kontraindikation
- Malcompliance des Patienten (1)
Merke: vordere/hintere Knieinstabilität (z.B. VKB Ruptur/ -insuffizienz) ist keine Kontraindikation für eine HTO (6)
Therapiealternativen
konservativ:
- funktionelle Valgisierung der Beinachse durch orthopädische Schuhzurichtung (laterale Schuhranderhöhung)
- Unloader Brace zur Entlastung des geschädigten Kompartimentes
- Physiotherapie (Optimierung der dynamischen Knie/Beinachsenstabilisatoren)
Operative Behandlung
Prinzip:
- die Osteotomie wird am Ort der grössten anatomischen Deformität durchgeführt
- Ziel der Korrektur ist eine Verlagerung de Belastungachse ins ‘gesunde’ Kompartiment
- wir legen die Miculicz-Linie dabei eminentianahe (i.d.R. für die Valgisationsosteotomie durch das Tub. intercondylare laterale). Eine Umstellung auf den Fujisawa-Punkt (lateraler Drittelpunkt Tibiaplateau) wird i.d.R. nicht mehr angestrebt (Überkorrektur).
- der aMPTA (anatomische mediale proximale Tibiagelenkswinkel) soll 95° bei der HTO nicht überschreiten
- ist (bei höhergradigen Achsenabweichungen) das gewünschte Korrekturausmass mit einer solitären Osteotomie nicht erreichbar, muss eine Doppelosteotomie (SCOT und HTO) in Erwägung gezogen werden.
- Die Indikation zur Osteotomie und entsprechend die Richtigkeit der MRI-Befunde wird immer im Rahmen einer der Osteotomie vorangehenden Kniearthroskopie verifiziert. Gleichzeitig können dabei allfällig relevante Binnenläsionen therapiert werden.
Planung:
- im CAD Programm (mediCAD)
- Planungsbeispiel (LINK, in Bearbeitung)
OP-Anmeldung:
- Kniearthroskopie (immer!) + Osteotomie (HTO und/oder SCOT)
- AB-Prophylaxe (gemäss Infektiologie-Guidelines, i.d.R. Kefzol 2g iv präoperativ)
- RL, BS steril, BV von OP-Seite, FMS Turm, Knierolle gross, Tomofix
- 90 Minuten
OP-Ablauf:
HTO (valgisierend, medial open wedge)
- Leicht schräge paramediane Hautinzision über dem proximalen Tibiakopf.
- Erforderliche subkutane und subperiostale Dissektion bis zur dorsomedialen Tibiakante nach distal und retrotuberositär.
- Markieren der Osteotomiehöhe und -verlauf mit 3mm Lanzettenkirschnerdraht (von proximal des distalen sMCL Ansatzes mit Zielrichtung Fibulaspitze)
- Untersägen der Tuberositas tibiae parallel zur Tibiavorderkante im ventralen Drittel nach apikal
- Durchführen der Osteotomie mit der oszillierenden Säge unter Spülung parallel zum Slope entlang des 1. Kirschnerdrahtes. Merke: die Osteotomie wird zum Schutz der posterioren Strukturen in Flexion des Kniegelenkes (Knierolle unter Oberschenkel) und unter Einsatz eines Eva-Hakens (um das posteromediale Tibiakopfeck) durchgeführt
- Erhalten des lateralen Scharniers mit subkortikaler Osteotomie bis 1 cm lateral.
- Mediales Aufspreizen der Osteotomie mit 3- bis 5-Meisseltechnik.
- Einsetzen des Knochenspreizers dorsomedial interkortikal.
- subkutanes Einbringen der vorbereiteten Tomofixplatte, proximale Fixation in Reihenfolge des Folder-Algorithmus.
- BV-Kontrolle der Plattenhöhe, der Osteotomieaufklappung und des Scharniers.
- Einbringen der 4.5-Plattenkompressions- und Zugsschraube durch Loch 1 zur Vorspannung der Platte zwischen den zwei Spacern in Loch B und 4.
- Erhalten der korrekten Valguskorrektur in voller Extension gemäss präoperativer Planung.
- Überprüfen der Parallelität der ansteigenden retrotuberositären Osteotomie.
- Vervollständigung der Fixation distal mit drei monokortikalen winkelstabilen Schrauben in Loch 2-4 mit Entfernung des ersten Plattenspacers.
- Ersetzen der Plattenzugschraube durch eine bikortikale winkelstabile Schraube.
- Besetzen des Loches D nach Entfernen des zweiten Plattenspacers.
- BV-Kontrolle und -Dokumentation der Osteosynthese, klinische Überprüfung der Bandführung und Ligamentotaxis.
- Eröffnen der sterilen Blutsperre unter Wundkompression während 10 Minuten zur Formation eines Koagulums im Osteotomieraum.
- Zweischichtiger dichter Wundverschluss unter Einlage eines Überlaufredons distal.
- Steriler Verband.
- Kniebrace in Streckstellung fixiert (falls Femoralisblock /-katheter).
SCOT (varisierend, medial closed wedge / valgisierend, lateral closed wedge)
- Hautinzision medial/ lateral in der Verlängerung des Femurkondylus nach proximal
- Darstellen und Längseröffnen der Muskelfaszie über dem Vastus medialis/ lateralis. Dieser wird unter Koagulation von Perforansgefässen vom Septum nach ventral abgeschoben und somit das distale laterale Femur dargestellt.
- Vorlegen der Tomofix (dist med/lat Femur) Platte und BV-kontrollierte Identifikation der Osteotomiehöhe.
- L-förmige Inzision und Abschieben des Periostes an dieser Stelle nach anterior und posterior, wonach das Femur mit Eva-Haken umfahren wird. (Das Gelenk d.h. der suprapatellare Recessus wird dabei nicht eröffnet)
- Markieren der Keil-Osteotomie lateral basiert mit zwei 3mm KD unter BV-Kontrolle und Einkürzen der KD. (Zielrichtung für den Hinge kranial des kontralateralen Femurkondylus)
- biplanare Femurosteotomie, primär mittels ventralem Unterschneiden des Femur proximal der Keilosteotomie, anschliessend erfolgt letztere bei flektiertem Kniegelenk zwischen den vorgelegten 3mm KD bis knapp nach subkortikal medial, danach leichtes Nachmeisseln.
- Schliessen der Osteotomie mit intaktem Hinge
- In kompletter Streckung und unter axialem Druck wird die Tomofixplatte über der geschlossenen Osteotomie platziert und mittels durch winkelstabile Bohrbüchsen eingebrachte KD temporär fixiert.
- Bei guter Plattenlage erfolgt erst die distale winkelstabile Fixation mittels 5mm Titanschrauben, anschliessend Einbringen einer konventionellen Repositionsschraube zur Kompression der Osteotomie. (CAVE: bei zu festem Anziehen kann dadurch der Hinge durchgebrochen werden!)
- Besetzen der proximalsten 3 Plattenlöcher mit winkelstabilen 5mm Titanschrauben.
- BV-Kontrolle und –Dokumentation der Osteosynthese.
- Wundspülung und Hämostasekontrolle.
- Schichtweiser Wundverschluss.
- Steriler Verband.
- Kniebrace in Streckstellung fixiert (falls Femoralisblock /-katheter).
Nachbehandlung
- Gelockerte Bettruhe bis zum 1. postoperativen Tag.
- Postoperative Röntgenkontrolle (Knie ap /seitlich) nach Drainagenzug
- Kniebrace fixiert bis 24h nach Zug des Femoraliskatheters (Sturzgefahr!)
- Physiotherapeutisch angeleitete Mobilisation (inkl. Kinetec) ab dem ersten postoperativen Tag unter Teilbelastung des operierten Beines bis zur Schmerzgrenze voraussichtlich für 8-12 Wochen postoperativ, je nach Durchbau der Osteotomie. Physiotherapie Nachbehandlungsschema HTO/SCOT
- Thromboembolieprophylaxe bis zur gesicherten schmerzfreien Vollbelastung.
- Passive und aktiv-assistive Bewegungen im Kniegelenk nach Schmerzgrenze ab sofort unter Vermeidung einer Streckhebung.
- Zwischenzeitliche Nachkontrollen durch den Hausarzt mit Entfernung des Hautnahtmaterials 12-14d postoperativ.
- Klinische und radiologische Kontrolle in der Knie-Sprechstunde 6, 12 (ggf 24 Wochen) sowie 1 Jahr postoperativ (Jahreskontrolle mit Ganzbeinaufnahme).
- Plattenentfernung bei Beschwerden (Voraussetzung: radiologische Konsolidation)
- nach ca 12 Monaten bei closed wedge Osteotomien und open wedge Osteotomien bis 10mm
- nach ca 18 Monaten bei open wedge Osteotomien > 10mm
Literatur
1. Freiling, D., van Heerwaarden, R., & Staubli, A. (2010). Die varisierende Closed-Wedge-Osteotomie am distalen Femur zur Behandlung der unikompartimentalen lateralen Arthrose am Kniegelenk. Operative Orthopädie. http://doi.org/10.1007/s00064-010-9006-9
2. Brinkman, J. M., Freiling, D., Lobenhoffer, P., & Staubli, A. E. (2014). Suprakondyläre Femurosteotomien in Kniegelenknähe. Der Orthopäde. http://doi.org/10.1007/s00132-014-3036-1
3. Staubli, A. E., Simoni, C. D., Babst, R., & Lobenhoffer, P. (2003). TomoFix: a new LCP-concept for open wedge osteotomy of the medial proximal tibia – early results in 92 cases. Injury, 34, 55–62. http://doi.org/10.1016/j.injury.2003.09.025
4. Puddu, G., Cipolla, M., Cerullo, G., Franco, V., & Giannì, E. (2010). Which osteotomy for a valgus knee? International Orthopaedics, 34(2), 239–247. http://doi.org/10.1007/s00264-009-0820-3
5. Wirtz, C., Wanner, R., Kohl, S., & Krüger, A. (2011). << Knie-Achsendeviationen—Ursache für Gonarthrose?>>. Schweizerische Zeitschrift für «Sportmedizin und Sporttraumatologie» 59 (4), 169–173, 2011
6. P, L., J, A., & W, Z. (2004). [Open valgus alignment osteotomy of the proximal tibia with fixation by medial plate fixator]. Der Orthopäde, 33(2), 153–160. http://doi.org/10.1007/s00132-003-0593-0
Autor: Dr. J. Mühlebach / letzte Aktualisierung 1/2019